Kindliches Stottern

Nicht jede kindliche Sprechunflüssigkeit ist ein Stottern.

Merkmale für physiologische Sprechunflüssigkeiten:

  • sie treten häufig (ca. 80 % aller Kinder) im Alter von 2-5 Jahren auf;
  • sie sind entwicklungsbedingte Unterbrechungen des Redeflusses;
  • sie treten vorübergehend auf: maximal eine Dauer von 6 Monaten;
  • das Kind nimmt die Sprechunflüssigkeiten selbst nicht wahr und leidet nicht darunter;
  • das Kind zeigt weiterhin Sprechfreude und geht Sprechsituationen nicht aus dem Weg;
  • das Kind ist durch die SUF in seiner Ausdrucksfähigkeit nicht eingeschränkt;

Beispiele:

  • Wiederholungen von Worten "ich - ich - ich hol´ Milch" und/oder
  • Wiederholungen von Satzteilen "gestern waren wir im schönen - im schönen - im schönen Zoo";
  • Pausen, evtl. auch gefüllt mit Äußerungen wie "ähm";

Ursachen für physiologische Sprechunflüssigkeiten:

Ein Kind kontrolliert seine Aussprache v.a. durch das Hören (= akustische Kontrolle), ein Erwachsener durch das Spüren (= taktil-kinästhetische Kontrolle).

In dieser Übergangszeit kann es zur Verwirrung kommen, weil z.B. durch leicht unsynchrones Wachstum der Nervenbahnen unterschiedliche Informationen (über Nervenbahnen mittels elektrischer Impulse vom Ohr zum Gehirn und vom Mund zum Gehirn, nicht zeitgleich an das Gehirn weitergeleitet werden.

Beim flüssigen Sprecher kommen beide Signale zeitgleich im Gehirn an. Der Sprecher spürt die Sprechbewegung im Mund und hört gleichzeitig, was er sagt. Durch die o.g. Unsynchronität kann es vorkommen, daß ein "Spürreiz" leicht zeitlich versetzt zum "Hörreiz" am Gehirn ankommt: Das Kind sagt "Baum" und spürt die Artikulationsbewegung erst einen Sekundenbruchteil nachdem es das "B" gehört hat. Es kommt durcheinander und wiederholt das "B" ein- oder mehrmals.

In der Regel gleicht sich das Nervenbahnenwachstum nach kurzer Zeit wieder an und das Kind spricht wieder flüssig.

Neben dieser Unsynchronität entstehen Sprechunflüssigkeiten z.T. auch daher, daß die feinen, präzisen Bewegungsabläufe im Mund noch nicht vollständig automatisiert sind und es so zu einem Ungleichgewicht zwischen dem Mitteilungsbedürfnis des Kindes und den eigenen sprachlichen Fähigkeiten bestehen ("es denkt schneller als es spricht").

Wie kann sich aus den physiologischen Sprechunflüssigkeiten "echtes" Stottern entwickeln?

In den meisten Fällen stabilisiert sich die Sprache wieder ohne therapeutische Hilfe. Bei einigen Kindern kann sich aber aus der leichten Unflüssigkeit ein Stottern entwickeln.

Was zu dem Zeitpunkt der physiologischen Sprechunflüssigkeiten viel wichtiger, ja geradezu entscheidend ist, sind die Reaktionen der Eltern und nahen Bezugspersonen. In früheren Zeiten galt Stottern als eine Art schlechte Angewohnheit und wurde nicht selten bestraft. Auch wenn Anschreien oder Ohrfeigen heute nicht mehr zu den Reaktionen auf Stottern zählen, gibt es einige übliche Verhaltensweisen, die vom betroffenen Kind ganz ähnlich empfunden werden. Wenn ein Kind bspw. dringend über ein aufregendes Erlebnis berichten mag und nach den ersten Worten mit dem gutgemeinten Hinweis, es solle sich doch erst einmal konzentrieren und langsamer sprechen, unterbrochen wird, macht es die Erfahrung, daß es sein Erlebnis nicht erzählen darf, weil es nicht richtig spricht.

Aus diesen Erkenntnissen hat sich die auch heute noch teilweise vertretene Ansicht entwickelt, es sei das Beste, das Stottern zu ignorieren.

Dies wäre auch völlig in Ordnung, wenn es möglich wäre. Doch auch wenn Eltern ihr Kind nicht korrigieren und sich stets bemühen, ihr stotterndes Kind aussprechen zu lassen, kann man gar nicht anders, als auf das Stottern zu reagieren. Die Reihe der Möglichkeiten ist endlos und reicht von einem sorgenvollen Blick bis hin zur Vermeidung von Streit (ob z.B. aufgeräumt wird oder nicht), wenn die Erfahrung gemacht wurde, daß das Stottern gerade dann häufig auftritt. Manchmal findet geradezu eine Tabuisierung des Stotterns statt: Es wird alles getan, was das Stottern verbessern könnte, nur niemals über das Stottern direkt gesprochen.

Da aber die Tabuisierung eines Themas den Betroffenen alleine läßt, ist sie die ungünstigste Variante des Umgangs mit dem Stottern.

Die o.g. Verhaltensweisen haben alle ein gemeinsames Resultat: Das Kind wird direkt oder indirekt aufgefordert, ein augenscheinliches Fehlverhalten zu unterlassen.

Dies fürht zu folgendem Denkprozeß:

Das Stottern wird konditioniert (unbewußt erlernt). Anders gesagt: weil dem Kind das Stottern in bestimmten Situationen negativ bewußt gemacht wird, lernt es, daß das Stottern zu diesen Situationen/Gesprächspartnern zwingend gehört. Später wird der Stotterer sagen: "ich stottere v.a. wenn ich aufgeregt bin/ wenn ich in der Schule aufgerufen werde..." und "ich stottere fast gar nicht, wenn ich mit meinen Kumpels Fußball spiele...".

Darüberhinaus versucht das Kind natürlich, sein Stottern zu vermeiden, indem es z.B. weniger oder in bestimmten Situationen bzw. gegenüber bestimmten Personen gar nicht mehr spricht (Sprechangst), anders atmet, die Luft anhält, schwierige Wörter vermeidet, körperliche Anstrengungen bzw. Verkrampfungen zeigt, einzelne Körperteile (z.B. das Bein) mitbewegt usw.

Wie kann man das Kind in der Phase der physiologischen Sprechunglüssigkeiten unterstützen und evtl. das Auftreten "echten" Stotterns vermeiden?

  • Geben sie dem Kind Zeit und Raum beim Sprechen.
  • Lassen Sie das Kind ausreden.
  • Signalisieren Sie Ihr Interesse, z.B. durch Blickkontakt und aufmerksames Zuhören.
  • Sagen Sie dem Kind deutlich, wenn Sie gerade keine Zeit zum Zuhören haben.
  • Achten Sie auf das, WAS das Kind sagt (= der Inhalt) und nicht, WIE es das sagt (= die Form): Bemerkungen wie "Sprich langsam", "Konzentrier Dich", "Hol erstmal tief Luft", "Denk erst nach, bevor Du sprichst" usw. sind innerhalb eines Alltagsgespräches keine Unterstützung.

Ein Logopäde sollte aufgesucht werden, wenn:

  • die Sprechunflüssigkeiten länger als ein halbes Jahr dauern;
  • das Kind älter als 5 Jahre ist;
  • das Kind die Freude am Sprechen verliert;
  • es Sprechsituationen ausweicht;
  • sich körperliche Anstrengungen bzw. Verkrampfungen zeigen;
  • sprachliche Veränderungen auftreten, die Sie beunruhigen;
  • Laute -u. Silbenwiederholungen auftreten (z.B. K-k-k-katze; To-to-to-tomate);

Grundsätzlich gilt:

Wenn Sie sich Sorgen machen, daß die Sprechunflüssigkeiten ihres Kindes länger, häufiger und ausgeprägter auftreten als bei anderen Kindern, sollten sie fachkundige Hilfe aufsuchen und sich beraten lassen.

Ist dann eine logopädischen Behandlung angezeigt, wird folgendermaßen vorgegangen:

Jedes Stottern ist unterschiedlich. Jede familiäre Situation ist unterschiedlich. Jedes Kind hat eine andere Art und Weise, mit dem Stottern umzugehen und reagiert auch individuell auf Reaktionen von Seiten der Umwelt. Das macht es unmöglich, einen allgemeingültigen Königsweg beim Umgang mit dem Stottern zu beschreiben.

Der erste Behandlungsschritt sollte daher eine Analyse des individuellen Umgangs mit dem Stottern und darauf basierend die Erarbeitung individueller Verhaltensstrategien sein. Dies umfaßt in der Regel 3 bis 10 Therapieeinheiten und sollte möglichst früh erfolgen (sobald abzusehen ist, daß sich das Stottern nicht von alleine gibt).

Die eigentliche Behandlung des Stotterns erfolgt später. Je nach motorischer Geschicklichkeit und Störungsbewußtsein des Kindes kann ab ca. 4 Jahren begonnen werden. Dies sind nur ungefähre Richtwerte! Im Einzelfall kann das auch ein anderer Zeitpunkt sein.

Grundsätzlich kann jedes Stottern in jedem Alter behandelt werden.